Mehr als nur Familie (2024)

An seine Anfangszeit im Familienunternehmen Schwan-Stabilo erinnert sich Sebastian Schwanhäußer, 55, mit Unbehagen. Jahrelang hatten sein Vater Günter und dessen Cousin Horst die Geschäfte geführt. Wobei jeder hauptsächlich sein Ding machte, soll heißen: der eine kümmerte sich um die Schreibgeräte-, der andere um die Kosmetiksparte. Wo nötig, klappte die Zusammenarbeit, auch wenn beide Männer sehr unterschiedliche Persönlichkeiten waren. Der Übergang allerdings geriet alles andere alsreibungslos.

Erst hörte Günter auf, fünf Jahre später Horst und zwischenzeitlich kam Sebastian Schwanhäußer ins Management. Daneben gab es familienfremde Geschäftsführer. "Von denen haben wir binnen weniger Jahre ein halbes Dutzend verschlissen", erinnert sich SebastianSchwanhäußer.

Ende der Neunzigerjahre war das. Vater und Onkel sind inzwischen verstorben und längst ist Sebastian Schwanhäußer das Gesicht des Familienkonzerns mit Sitz in Heroldsberg bei Nürnberg. Tatsächlich aber ist der hochgewachsene, frühere Volleyballspieler bislang nur die Hälfte einer gleichberechtigten Doppelspitze, die er mit Jörg Karas bildet. Noch, denn zum 1. Juli wird sich das ändern. Schwanhäußer wird dann alleiniger Chief Executive Officer (CEO) der Konzernholding. An seiner Seite wird als Finanzchef Martin Reim, 55,fungieren.

Die Personalien sind Teil einer grundlegenden Neuorganisation in der Führung des 164 Jahre alten Familienunternehmens, das knapp 5000 Mitarbeiter beschäftigt und vor allem durch Schreibgeräte wie den milliardenfach verkauften Textmarker "Boss" bekannt ist. Oben, an der Spitze der übergeordneten Holding, sollen sich Schwanhäußer und Reim "ausschließlich auf die Strategie und die übergeordnete Führung des Gesamtunternehmens konzentrieren", wie es heißt, das große Ganze also. Auf der Ebene darunter erhält jeder der drei operativ eigenständigen Teilkonzerne einenVerantwortlichen.

Bisher arbeitete Sebastian Schwanhäußer in Personalunion in der Konzernspitze und als Chef für die Schreibgerätesparte Stabilo. Letztere Aufgabe übernimmt Horst Brinkmann, bisher für Entwicklung, Marketing und Vertrieb zuständig. Den Teilkonzern Kosmetik führt weiterhin Jörg Karas, der aber seinen Zweitjob in der übergeordneten Konzernführung verliert. Die Outdoor-Sparte, zu der die Rucksackmarke Deuter, sowie die Sportmarken Ortovox, Maier-Sports und Gonso gehören, leitet MartinRiebel.

Mit der Neuorganisation wolle man der Konzernspitze mehr Freiraum geben, um spartenübergreifend und strategisch zu arbeiten, sagen Schwanhäußer und Reim. Klar getrennte Verantwortlichkeiten stünden dabei im Mittelpunkt. Die Strukturen sollen auch Reibungsverluste bei Führungswechseln, wie eingangs beschrieben, künftig verhindernhelfen.

Denn Familienzugehörigkeit allein qualifiziert nach dem Verständnis der Unternehmerdynastie Schwanhäußer noch lange nicht für Führungsaufgaben. Entsprechend legt Dirk Schwanhäußer, der als Chef des Beirats die Interessen jener 43 Familienmitglieder bündelt, denen der Konzern gehört, wert auf die Feststellung, dass bei der Neuorganisation "erst das "Wie" festgestanden habe, "und wir uns danach mit der Frage der personellen Besetzung beschäftigthaben".

Dass die anderen Gesellschafter Sebastian Schwanhäußer für geeignet halten, in fünfter Generation den Traditionskonzern zu führen, verwundert nicht. Seit 1998 Verantwortlicher der Schreiberätesparte und seit 2006 einer von zwei Konzerngeschäftsführern steht er für profitables Wachstum. Unter seiner Ägide begann das Unternehmen 2006 damit, mit dem Kauf von Deuter eine Outdoor-Sparte aufzubauen, um nicht allein vom Geschäft mit Schreib- und Schminkstiften abhängig zu sein. In den vergangenen zehn Jahren hat sich der Konzernumsatz fastverdoppelt.

Derzeit plagt man sich jedoch mit allerhand Problemen. Zwar legen die Schreibgeräte- und die Outdoor-Sparte zu, doch der größte und jahrelang erfolgreiche Teilkonzern Kosmetik schwächelt. Das drückt den Gesamtumsatz, der nach stetigem Wachstum zuletzt um vier Prozent auf 685,4 Millionen Euro sank. Für das noch bis Ende Juni laufende Geschäftsjahr 2018/19 erwartet Sebastian Schwanhäußer einen weiteren Rückgang. Seit April wird im Kosmetikwerk in Heroldsbergkurzgearbeitet.

"Wir sind, wie viele Wettbewerber im Kosmetikbereich, nicht da, wo wir sein wollen", sagt er. Das Unternehmen fertigt als Zulieferer Augen- oder Make-up-Stifte für große Kosmetikmarken und erwirtschaftet damit grob die Hälfte des Gesamtumsatzes. Zuletzt habe sich "der Markt deutlich verändert und wir uns zu langsam mitverändert", sagt Schwanhäußer. So habe man beispielsweise den Trend in Asien zu regionalen Marken nicht schnell genug erkannt. Wenn dann noch wichtige Abnehmer wie Avon ins Schlingern geraten, weil Kundinnen lieber schnell im Internet einkaufen als auf den Hausbesuch der Avon-Beraterin zu warten, wirkt sich das auch auf den Zulieferer Schwanaus.

Die Veränderungen im Handel, die Entwicklung in Asien, Themen wie Nachhaltigkeit oder Digitalisierung seien "Herausforderungen, die den ganzen Konzern betreffen", sagt Finanzchef Reim. Ihnen wollen er und Schwanhäußer sich stärker widmen. Ein Neustart, für den sie sogar umziehen. Raus aus ihren traditionellen Büros, rein in eine "Open-Office"-Ecke im Nachbargebäude, Schreibtisch an Schreibtisch. Um schneller und vernetzter zu arbeiten. Denn die Zeiten, in denen Vater und Onkel ihr Ding machten, sindvorbei.

Mehr als nur Familie (2024)
Top Articles
Latest Posts
Article information

Author: Rob Wisoky

Last Updated:

Views: 5441

Rating: 4.8 / 5 (68 voted)

Reviews: 91% of readers found this page helpful

Author information

Name: Rob Wisoky

Birthday: 1994-09-30

Address: 5789 Michel Vista, West Domenic, OR 80464-9452

Phone: +97313824072371

Job: Education Orchestrator

Hobby: Lockpicking, Crocheting, Baton twirling, Video gaming, Jogging, Whittling, Model building

Introduction: My name is Rob Wisoky, I am a smiling, helpful, encouraging, zealous, energetic, faithful, fantastic person who loves writing and wants to share my knowledge and understanding with you.